Die Cobot-Komposition: Neue Töne für die Automation bei KMU

Einsätze über Branchengrenzen hinweg, hohe Skalierbarkeit bei maximaler Wirtschaftlichkeit, so lautet das disruptive Potential der Cobots. Ein Debattenbeitrag über Zustand und Zukunft der industriellen Automation. Von Dirk Eickhorst

Die Cobot-Komposition | Universal Robots
Die Cobot-Komposition | Universal Robots

Für so gut wie jeden Bootsbesitzer ist seine Yacht so etwas wie sein Baby. Fremde Leute dürfen das Kleine allenfalls mit Samthandschuhen anfassen. Doch jedes Baby hat viele Bedürfnisse, die die Eltern anstrengen: Jeden Winter müssen die Boote aus dem Wasser gehoben und ihr Rumpf abgeschliffen und neu lackiert werden, um zu verhindern, dass das Material ermüdet oder gar das Holz fault. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie anstrengend diese Arbeit ist. Nach kürzester Zeit meint man, die Arme fallen ab. Noch dazu ist die sogenannte Antifouling-Beschichtung, die da als feinster Staub abgeschmirgelt wird, hochgiftig. Man arbeitet also zusätzlich mit Atemschutz.

Ein Kollege bei Broetje-Automation besitzt eine wunderschöne Motoryacht, sie ist 85 Jahre alt. Dieses Frühjahr stellte er in einem Gespräch wieder einmal fest, wie furchtbar diese Arbeit ist. Für Schleifanwendungen im Flugzeugbau hatten wir seinerzeit gerade ein System mit einem Cobot-Arm von Universal Robots im Einsatz. Es bedurfte einiger Überredungskünste, um den Kollegen zu überzeugen, den Roboter an sein Boot ranzulassen. Wie kann ein System, das für den durchorganisierten, industriellen Flugzeugbau entwickelt wurde, in so einer unwirtlichen und beengten Umgebung wie einer Werft arbeiten? Ist die Erreichbarkeit ausreichend, hat er überhaupt genug Kraft? Oder nicht genug? Kann er an die Erfahrung und Feinfühligkeit eines Menschen auch nur im Entferntesten heranreichen?

Trotz aller Bedenken transportierten wir den nun „BoatBot“ getauften Roboter in die Werfthalle, eine Mitarbeiterin definierte dem Cobot die zu bearbeitende Fläche und die Schleifscheibe fing an zu rotieren – ein aufregender Moment für den Eigner und alle, die dabei waren.

Doch nach einer halben Stunde war er komplett überzeugt. Menschen, die jahrzehntelange Erfahrung mit dieser Arbeit haben, meinten, dass diese Qualität von Hand nicht zu erreichen sei – und wenn, dann nur mit dreimal so viel Zeitaufwand. Einige Zuschauer, die sich um das Boot versammelt hatten, fingen bereits an zu rechnen, ob sie sich ein Exemplar des Schleifroboters leisten könnten.

BoatBOT: Auch im Schiffsbau kommen Cobots zum Einsatz

Automatisierung mit Cobots: Nicht nur die Großindustrie profitiert

Die Anekdote vom BoatBot ist ein wunderbares Beispiel für die Abwärtsskalierbarkeit von Systemen, die durch Cobots möglich wird. Die Schleifarbeit muss schließlich jedes Jahr an tausenden von Booten geleistet werden. Was wäre denn, wenn wir die neuen Cobot-Lösungen aus dem Flugzeugbau einsetzen könnten für andere Branchen mit anderen Technologien, immer jedoch inspiriert von den besonderen Anforderungen der Automatisierungstechnik? Dieses Prinzip nennt sich Cross-Over-Innovation und es wird immer wichtiger, um wettbewerbsfähig zu bleiben und zugleich wirtschaftlich arbeiten zu können.

Als Leiter der Technologieabteilung von Broetje-Automation habe ich gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen über Jahrzehnte hinweg Anlagen entwickelt und produziert, die weltweit zur Montage von Flugzeugen eingesetzt werden. In der Vergangenheit fand das vor allem im großen Maßstab statt. Es wurden Linien entwickelt, in denen komplette Verkehrsflugzeuge montiert werden. Wir zählen fast alle Flugzeugbauer der Welt zu unseren Kunden, man kann durchaus sagen: Wer schon mal geflogen ist, profitiert von unserer Arbeit.

In dieser Zeit haben wir viel Know-how aufgebaut. Aber die Welt ändert sich. Der Trend geht hin zu leichter Automation. Die Anlagen von morgen werden nicht mehr auf die Hallenböden gedübelt sein wie früher, sondern sich auf flexiblen Fahrwerken befinden. Das Portfolio muss nach unten hin abgerundet werden und so kommen wir von großen Anlagen hin zum kollaborierenden Roboter.

Die Cobots unterscheiden sich stark von den Maschinen, die sonst im Flugzeugbau eingesetzt werden. Das sind mehrere Millionen Euro teure Schwer- und Sonderanlagen, die individuell für eine spezielle Aufgabe entwickelt wurden – oft als Einzelstück. Doch die Intelligenz, Präzision und Erfahrung, die in diesen Maschinen steckt ist viel zu schade, um sie nur in zehn Anlagen pro Jahr zu installieren. Und so haben wir diese Intelligenz auf kleinere Systeme übertragen und können sie damit auch für einen größeren Markt verfügbar machen.

Während unserer Recherche und während ausgiebiger Tests hat sich Universal Robots schnell als zuverlässigster Partner gezeigt. Die Kombination aus Technologie, Wirtschaftlichkeit und Dynamik der Zusammenarbeit passt einfach sehr gut zusammen. Im Laufe der Zeit haben wir einen Modulbaukasten entwickelt, der die Basis für vielfältigste Lösungen ist. In diesem Baukasten haben wir die wichtigsten Komponenten, unter anderem die Roboterarme von UR, integriert. Wir stellen dann die jeweils beste Lösung für unseren Kunden daraus zusammen und sind so in der Lage ein wirtschaftlich attraktives Gesamtpaket zu liefern.

Für mich ist eine Maschine erst dann eine richtige Maschine, wenn sie vollständig umgesetzt wurde, CE-zertifiziert ist und beim Kunden in der Produktion akzeptiert läuft. Salopp ausgedrückt sollte sich ein Kunde, der sich auf das professionelle Instandhalten von Schiffen spezialisiert hat, nicht auch noch mit Automatisierungstechnik auskennen müssen. Dies ist unsere Aufgabe als Systemintegrator, der das gesamte System schlüsselfertig serviert und somit echte Funktionsfähigkeit liefert. Es reicht also nicht aus, nur das zu leisten, was der Kunde als Soll-Anforderung formuliert hat. Man muss dem Kunden auch neue Informationen und Erkenntnisse liefern und unterstützen, damit am Markt attraktiv zu sein.

Automatisierung im großen Stil: Cobots in der Luftfahrt
Automatisierung im großen Stil: Cobots in der Luftfahrt

Produktionsautomatisierung: Kollaborierende Roboter nehmen den Menschen schwere und eintönige Tätigkeiten ab

Henry Ford hat einmal gesagt: „Wenn ich die Leute gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: 'schnellere Pferde'.“ Die Menschen konnten sich damals eben nicht vorstellen, dass es etwas geben könnte, das das Pferd übertreffen könnte. Wir stehen heute vor der gleichen Situation. Unsere Kunden sagen, wir sollten schnellere Maschinen entwickeln, doch es kommt stattdessen auf einen Paradigmenwechsel in den Prozessen an.

Konkret übersetzt heißt das, dass wir mit den Cobots nicht einfach Arbeit automatisieren, die zuvor ein Mensch selbst geleistet hat. Das ist ein Bereich, in dem sich Automatisierung bislang noch nie gerechnet hat. Es geht darum, den Menschen in die Prozesse zu integrieren und z.B. sehr kraftaufwändige, einförmige oder gar gesundheitsschädliche Tätigkeiten abzunehmen. Dinge, die man zwar selbst tun könnte, die aber Schmerzen im Arm oder der Lunge verursachen.

Man nehme ein weiteres Beispiel aus dem Flugzeugbau: Von den 3,5 Millionen Nieten, die in einer gängigen Verkehrsmaschine stecken, können die Großanlagen zwar eine Million automatisiert anbringen, mehr als zwei Drittel werden jedoch immer noch von Hand eingesetzt. Heutzutage kann man Facharbeiter immer seltener davon überzeugen, diese Arbeiten auszuführen. Die jungen Leute verlangen nach einer gewissen Work-Life-Balance und sehen in einer Beschäftigung immer auch eine Möglichkeit zur Selbstverwirklichung. Die ist jedoch schwer zu finden, wenn man wochenlang Löcher in eine Flugzeugkabine bohren muss und sich dabei nicht den geringsten Fehler erlauben darf. Das führt dazu, dass man sich nach kurzer Zeit neue Mitarbeiter suchen muss. Hinzu kommt noch die Herausforderung des demografischen Wandels – im Jahr 2050 wird es hierzulande 30 Prozent weniger Menschen im arbeitsfähigen Alter geben. Diese Entwicklung gilt es zu kompensieren. Die Unterstützung eines Cobots ist dafür eine echte Alternative und möglicherweise die naheliegendste Lösung!

Automatisierung und Roboter: Cobots bringen neue Töne in die industrielle Fertigung

Als Musiker vergleiche ich die Situation vor einem Automatisierungsprojekt gerne mit der Arbeit an einer musikalischen Komposition. Zu Beginn haben wir unendlich viele Teile und Parameter: die Vorzeichen, der Takt, die Höhe, Dauer und Lautstärke der Töne. Die Vorstellung der Kunden und damit die Anforderungen an die Ingenieure ist es meist, all diese Komponenten fein säuberlich zu sortieren und in ein Schema zu bringen. Dies wird dann vorgestellt. Aber ist es wirklich das, was er haben will? Nein! Was der Kunde will, ist eine Gesamtlösung, eine Komposition, die neben dem Takt und Tempo auch die Instrumentenauswahl, Tonalität, Dynamik und Interpretation erfordert, um aus einem einfachen Lied einen echten Chartbreaker werden zu lassen.

Der Cobot ist in dieser Analogie wie ein neues Instrument, welches neue Musikstile ermöglicht und das bestehende Paradigmen herausfordert. Das Technologie, die wir im großindustriellen Stil etabliert haben, für andere Branchen verfügbar macht und dafür sorgt, dass sie über die bekannten Grenzen hinweg plötzlich in der ganzen Welt einsetzbar wird.

Dirk Eickhorst, Senior Manager Technology bei Broetje Automation GmbH

Große Bands wie Queen sind möglicherweise nur deshalb so erfolgreich geworden, weil sie Rock und Klassik kombiniert haben. Bis zu diesem Zeitpunkt hat jeder Musiker geglaubt, dass das weder möglich noch erstrebenswert ist. Auch lässt die etablierte Werte-Kultur eines traditionellen Orchesters den Einsatz neuer Instrumente oft nicht zu. An diesem Punkt befinden wir uns auch in unserer Umgebung. Die klassische Automatisierungstechnik sagt, dass Cobots nicht genügend Kraft oder Präzision aufbringen. Es werden Gründe gefunden, warum es nicht geht. Ohne es jemals versucht zu haben.

Ich persönlich bin sicher, dass die Cobots ihr Potential überhaupt erst noch richtig entfalten werden. Der BoatBot ist dafür das beste Beispiel. Lassen Sie uns also Queen sein! Lassen Sie uns auf die Bühne gehen, mit neuen Instrumenten und bislang unbekannten Musikstilen, die die Leute noch nie gehört haben und wir werden sehen, dass das Publikum, also unsere Kunden, genau so begeistert sein wird.

Dirk Eickhorst

Dirk Eickhorst, Jahrgang 1968, hat Maschinenbau und Informatik studiert und startete vor 25 Jahren in der Automatisierungstechnik für den Flugzeugbau. In seiner Laufbahn leitete er bei Broetje Automation sechs Jahre lang die Simulations- und Elektroabteilung und trieb danach als Leiter der Technology und Digitalisierung die technologische Entwicklung für sieben Jahre lang voran. Zudem bildet er seit 2016 als Lehrbeauftragter Studenten an der Jade-Hochschule Wilhelmshaven im Fach Automatisierungstechnik aus. Im Jahre 2020 gründete Eickhorst die Firma Soul-IT, mit der er neben operativer Digitalisierung an der Integration und Einführung von Cobot-Lösungen auch für andere Branchen arbeitet. Hier schreibt er über das transformative Potential dieser Technologie.

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