„Vor China müssen wir uns in der KI sicher nicht verstecken“

Gibt es für Deutschland Hoffnung auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz (KI)? Wieso sollten Roboter das menschliche Gehirn überhaupt imitieren? Und welche Chancen ergeben sich für den Mittelstand? KI-Experte und Micropsi-Gründer Ronnie Vuine gibt Antworten und bricht eine Lanze für KI Made in Germany.

Künstliche Intelligenz und Robotik | Universal Robots
Künstliche Intelligenz und Robotik | Universal Robots

Gibt es für Deutschland Hoffnung auf dem Gebiet der Künstliche Intelligenz (KI)? Wieso sollten Roboter das menschliche Gehirn imitieren? Und welche Chancen ergeben sich für den Mittelstand? KI-Experte und Micropsi-Gründer Ronnie Vuine gibt Antworten und bricht eine Lanze für KI Made in Germany.

Herr Vuine, Sie haben vor sieben Jahren Ihr eigenes Unternehmen Micropsi Industries gegründet, das Künstliche Intelligenz (KI) für die Industrierobotik nutzbar machen möchte. Was fasziniert Sie so an der Technologie?

Ronnie Vuine: Bekanntlich hat man ja erst verstanden, wie etwas funktioniert, wenn man’s nachbauen kann. Künstliche Intelligenz zu bauen, ist deswegen immer auch ein Versuch, etwas darüber zu lernen, wie Intelligenz funktioniert und letztlich, was sie ist.

Da spricht der Magister für Philosophie und Informatik aus Ihnen. Wie kamen Sie überhaupt von der Programmierung emotionaler Roboter an der Humboldt-Universität Berlin zur Entwicklung von Roboterlösungen für die „echte“ Industrie?

Ronnie Vuine: Man kann nicht schummeln, das hat mich gereizt. Industrieroboter müssen in einer harten Wirklichkeit funktionieren. Das hält einen ehrlich und man baut nicht aus Versehen Systeme, die bloß selbstversteckte Ostereier finden. Sie haben aber noch einen weiteren Vorteil: Industrieroboter sind verdammt nah dran an richtiger Wertschöpfung. Das Kapital, als abstrakte Größe und treibende Kraft der Wirtschaft, wie bei Marx, hat also ein Interesse daran, dass sie intelligenter werden. Und schließlich sind sie interessant, weil sie im besten Fall vor Ort beim Kunden lernen sollten, das heißt, eine echte Intelligenzleistung vollbringen und nicht nur neuronale Netze einsetzen, die in Wirklichkeit von Menschen optimiert wurden.

Das Reinheitsgebot für KI Made in Germany: Erfindergeist gepaart mit ausgezeichneter Leitindustrie-Qualität. © Micropsi Industries
Das Reinheitsgebot für KI Made in Germany: Erfindergeist gepaart mit ausgezeichneter Leitindustrie-Qualität. © Micropsi Industries

Kürzlich zeigte der VDMA im einem Startup-Radar Künstliche Intelligenz auf, dass immer mehr deutsche Maschinen- und Anlagenbauer auf KI setzen. Ihr Ziel ist es, ihre Produkte mit datenbasierten Mehrwerten anzureichern. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?

Ronnie Vuine: Grundsätzlich, nicht nur für Deutschland, gilt: Die beste Maschine ist in der nächsten Generation nicht mehr diejenige, die ihre Aufgabe mechanisch am besten verrichtet, sondern diejenige, die gut mit den Maschinen um sich herum zusammenarbeitet, möglichst wenig menschliche Aufmerksamkeit braucht und flexibel umrüstbar ist für andere Aufgaben. Diese Flexibilisierung wird möglich durch höhere Softwareanteile. Wenn man aber mehr und mehr mit Software macht und weniger und weniger menschliche Bediener an den Maschinen haben will, müssen bestimmte Intelligenzleistungen, die heute die Bediener erbringen, eben auch von Software übernommen werden.

Und was bedeutet das speziell für Deutschland?

Ronnie Vuine: Die deutsche Industrie ist ja eine der globalen Leitindustrien für Automatisierung. Wir leben so gut hier, dass wir uns unsere eigenen Löhne nur leisten können, wenn wir enorm produktiv sind. Deswegen müssen wir bei Automatisierung innovativ sein. Der Rest der Welt kauft diese Innovation dann und zieht in den eigenen Fabriken nach. Und wenn Maschinenbauer jetzt überlegen: Wo sind die nächsten Produktivitätspotenziale? Dann lautet die Antwort eben: in der Flexibilisierung, beim Wartungsaufwand, im Informationsfluss zwischen Maschinen, der dem Wertfluss vorauseilt und ihn geschmeidiger macht. Bei all diesen Dingen hilft künstliche Intelligenz, was meistens bedeutet, Muster zu finden, die Menschen nicht finden würden.

Die beste Maschine ist in der nächsten Generation nicht mehr diejenige, die ihre Aufgabe mechanisch am besten verrichtet, sondern diejenige, die gut mit den Maschinen um sich herum zusammenarbeitet, möglichst wenig menschliche Aufmerksamkeit braucht und flexibel umrüstbar ist.

Ronnie Vuine, Gründer und CEO von Micropsi Industries

Wenn Sie sagen, dass der Rest der Welt unsere Innovationen kauft, meinen Sie damit auch China und die USA? Können wir es mit den beiden Tech-Titanen im Bereich KI also aufnehmen?

Ronnie Vuine: Vor China müssen wir uns in der KI sicher nicht verstecken. Trotz der immer wieder nachgeplapperten Überlegenheits-Propaganda gibt es im Westen kaum erfolgreiche chinesische KI. Ganz anders ist der Fall USA gelagert: Wir alle benutzen schon heute praktisch die ganze Zeit KI, die in den USA entstanden ist. Und die Amerikaner sind eben nicht nur besser in der Vermarktung, wie immer wieder behauptet wird. Ihr Vorsprung basiert manchmal wirklich auf jahrzehntelanger Arbeit, viel Geduld und Bastlerdrang und Spinnerei und Freude an Science-Fiction. Das können wir in Deutschland selten. Umgebungen, in denen Borniertheit und „Schon-Bescheidwisserei“ mal draußen bleiben müssen, gibt es hier viel weniger, und wenn sie doch entstehen, erkennt amerikanisches Kapital sie im Allgemeinen früher als europäisches und agiert dann entschlossener. Schön sehen konnte man das bei DeepMind: Lauter kluge Europäer, die heute für Google arbeiten.

Die Abwanderung von Talenten spricht also für den Standort USA. Wieso entwickeln Sie dennoch KI in Berlin und nicht im Silicon Valley?

Ronnie Vuine: Wenn man sich vornimmt, ein wirklich schwieriges Problem zu lösen, braucht man gute Bedingungen dafür. Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist, dass man mit Leuten arbeiten muss, die nicht alle fünfzehn Minuten nachrechnen, ob sie schon reich sind, und dann die Geduld verlieren, wenn das nicht der Fall ist. Man darf keine Abkürzungen nehmen, und die nötige Haltung ist gar nicht so leicht zu finden. Sie setzt einen gewissen sozialen Frieden voraus, und das ist etwas, was wir gar nicht so schlecht machen hierzulande.

Und gibt es auch harte Faktoren, die für Deutschland sprechen?

Ronnie Vuine: Klar, da ist die schon erwähnte Leitindustrie-Qualität der deutschen Industrie zum Beispiel. Man kann wirklich einfach bei einer Fabrik an die Tür klopfen und sagen: Ich kann ein bisschen was, wie könnte ich mich damit nützlich machen? Wenn man dann zuhört, hat man das für einen Unternehmer Wertvollste überhaupt in die Hand bekommen: Eine Chance auf einen Beitrag zur Wertschöpfung.

KI-Anwendungen ermöglichen mehr Flexibilität in der Produktion und machen Industrien krisensicher. © Micropsi Industries
KI-Anwendungen ermöglichen mehr Flexibilität in der Produktion und machen Industrien krisensicher. © Micropsi Industries

Wie sieht Ihr Beitrag konkret aus, geht es um den Einsatz von KI und Robotik?

Ronnie Vuine: Roboter sind, im Prinzip, die flexibelsten Maschinen: Sie können heute das eine und morgen etwas anderes montieren. Gerade die Roboter von Universal Robots machen solche Umrüstungen ja einfach: Sie sind schnell neu programmiert und es ist auch recht einfach, sie mobil einzusetzen. Leider kann man die Umgebung aber nicht einfach neuprogrammieren, denn die ist physisch. Zum Beispiel die Materialzuführung für einen Montageprozess: Wenn man da umrüstet, muss man außer dem Roboterprogramm eben auch die Vorrichtungen ändern, die dem Roboter das Material wieder millimetergenau hinlegen, damit er damit arbeiten kann. Besser wäre es, mit einer Kamera in der Welt nachzuschauen, wo das Teil genau liegt, und dynamisch darauf zu reagieren - hier war es dann bislang aber so, dass das Programmieren der Kamera wieder eine Riesensache war, wenn der Vorgang wirklich robust umgesetzt werden sollte. Und da hilft KI dann enorm: Wie einem Menschen zeigt man dem Roboter das, was er machen soll, ein paar mal. Der schaut zu, versteht, welche Flexibilität da von ihm verlangt wird, und kann sie dann abliefern.

Die Robotik war also schon da und Micropsi macht sie intelligent. Geht es in der Industrie schlussendlich immer nur darum, Geschäftsmodelle zu perfektionieren?

Ronnie Vuine: Mir ist immer wichtig, nicht nur die Optimierungen im Blick zu haben. Wer optimiert, übersieht die großen Möglichkeiten und macht sich unflexibel. Die Annahme, dass alles schon fast perfekt ist und nur hier und da noch ein paar Prozent weniger Ausschuss oder ein paar Prozent mehr Durchsatz herausgeholt werden können, stimmt selten. Spätestens in einer Krisensituation, wie gerade in der Pandemie erlebt, profitieren die weniger Ausoptimierten, die Flexibilitätsreserven haben. Es geht also nicht nur um Optimierung, sondern schon auch um ganz neue Möglichkeiten.

Und was bedeutet das für eine starke bzw. zukunftsfähige Industrie?

Ronnie Vuine: Künftig werden vor allem diejenigen profitieren, die Flexibilität in Marktvorteile übersetzen können. Die auf eine Veränderung im Bedarf, ob wegen einer Krise, einer neuen Lage beim OEM, dem sie zuliefern, oder wegen einer Mode aus dem Internet ihre Produktion schnell umstellen können.

Spätestens in einer Krisensituation, wie gerade in der Pandemie erlebt, profitieren die weniger Ausoptimierten, die Flexibilitätsreserven haben. Es geht also nicht nur um Optimierung, sondern schon auch um ganz neue Möglichkeiten.

Ronnie Vuine, Gründer und CEO von Micropsi Industries

Dann zeichnen wir zum Schluss doch gerne noch ein konkretes Szenario für die Fabrik im Jahr 2035. Wie wird diese Ihrer Meinung nach aussehen?

Ronnie Vuine: Gar nicht so anders als eine gute Fabrik heute, denn Produktion entwickelt sich sehr langsam weiter. Aber es werden mehr Maschinen zum Einsatz kommen, die mehr als eine Sache können. Mehr additive Fertigung, mehr Roboter, viel mehr mobile Einheiten. Insbesondere die Kombination von artikulierten Roboterarmen und autonomen Fahrzeugen hat enormes Flexibilitätspotenzial. Wir werden auch mehr High-End-Rechentechnik an der Linie sehen, und sie wird Zustände von Maschinen und Anforderungen an Maschinen auf allen Zeitebenen besser vorhersagen können.

Machen Sie sich Sorgen, dass die Vorsicht in Punkto Datenschutz Innovation bremsen könnte, wie immer wieder in der Debatte heraufbeschworen?

Ronnie Vuine: Das wäre fatal, zumal hier ja gar keine personenbezogenen Daten fließen. Eher darf man begründet hoffen, dass wir ein vernünftiges Verhältnis zur Cloud finden werden: Steuerung findet weiter dezentral statt, während Analyse und Optimierung in der Cloud passieren. Dort können Daten zusammengeführt werden. Auch die hartnäckigsten Angsthasen, die sich haben einreden lassen, Daten seien das neue Öl und sie müssten auf ihren Datenölfässern sitzen und nur keinen ranlassen, werden erkannt haben, was man gewinnt, wenn man mit Daten arbeitet – und das vernünftig, arbeitsteilig und in vertraglich klar geregelten Verhältnissen.

Herr Vuine, vielen Dank für das Gespräch!

Andrea Alboni

Andrea Alboni ist General Manager Western Europe bei Universal Robots. Mit Leidenschaft und Know-how verantwortet er das Geschäft in den Ländern Deutschland, Österreich und Schweiz. Die hohe KMU-Dichte im DACH-Raum bietet eine Vielzahl an Anwendungsmöglichkeiten für die flexiblen, kostengünstigen Cobots. Andrea Alboni bringt seine über zehnjährige Sales-Expertise ein, um gemeinsam mit Universal Robots die Entwicklung und den Einsatz kollaborativer Robotik sowie das Wachstum am Markt weiter voranzutreiben.

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